„Das Ökomodell zeigt, wie es geht“

Erstellt von Karin Detzel (kad) |

Jubiläumsveranstaltung zum 20. jährigen Bestehen

Grassau – Wenn der frühere Bundespräsident zur Geburtstagsfeier kommt, muss der Jubilar Besonderes geleistet haben. Und das, so befand Festredner Horst Köhler, hat das Ökomodell Achental in den 20 Jahren seines Bestehens in der Tat. „Wenn es das Ökomodell nicht schon längst gäbe, spätestens jetzt müsste man es erfinden“, stellte Festredner Horst Köhler klar. Anlass zur Feier war der 20. Geburtstag des Ökomodells Achental. „Ein spannendes Alter. Es ist schon viel geschafft, aber das Beste kommt noch“, merkte der frühere Bundespräsident an, der mit seiner Frau Eva Luise nach Grassau gekommen war.

Vor der Feier im Heftersaal hatte er sich ins Goldene Buch der Gemeinde Grassau eingetragen, in dem sich nach Frank-Walter Steinmeier nun zwei Bundespräsidenten binnen einer Woche verewigt haben.

Kernpunkt von Köhlers Rede: Die Krisen weltweit – von Klima- über Migrations- und Finanz- bis zur Demokratiekrise – hingen zusammen, machten nicht vor Ländergrenzen Halt. Um dennoch in eine gute Zukunft gehen zu können, bedürfe es einer großen Transformation, einer globalen Veränderung, bei der nicht jeder nur auf das eigene Wohl schaut. „Europa kann keine gute Zukunft haben, ohne dass Afrika eine hat“, so Köhler. „Unsere Biosphäre ist nicht wie eine Zimmerpflanze, wo man sich eine neue kauft, wenn sie eingeht“, betonte er. Auch Donald Trump werde es nicht schaffen, „eine Mauer gegen den Klimawandel zu bauen“.

Diese große Veränderung in der Erkenntnis, dass alles zusammenhängt, sei für ihn die „Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts“, so der 76-Jährige, der von 2004 bis 2010 deutscher Bundespräsident gewesen war. Beim Ökomodell Achental hätten die globalen Zusammenhänge schon vor 20 Jahren eine Rolle gespielt. Die Erkenntnis, dass die Kernthemen Natur- und Landschaftsschutz, Energie, Landwirtschaft und naturverträglicher Tourismus nur voranzubringen sind, indem in der Region interkommunal zusammengearbeitet wird, führte 1999 zu dessen Gründung.

„Am Anfang war der Irlacher“ kam der Ex-Bundespräsident auf den Mann zu sprechen, „ohne dessen Mut und Überzeugungskraft es das Ökomodell nicht gäbe“: Fritz Irlacher, damaliger Schlechinger Bürgermeister. Für ihn, so weiß Köhler, „ist die Natur nicht einfach eine Ressource“. Er habe vor 20 Jahren in den Nachbargemeinden Mitstreiter gefunden, die gemeinsame Idee für das Achental und ein Konzept entwickelt, das „Heimatliebe mit Zukunft verbindet“. Heute stehe der Verein auf festen Beinen, und es habe sich gezeigt, dass das Konzept richtig war. „Es freut mich sehr, dass sein Enthusiasmus noch immer da ist“, bemerkte Köhler mit einem Schmunzeln in Irlachers Richtung.

Die Sympathie, die aus seinen Worten herauszuhören ist, beruht auf Gegenseitigkeit. Später, im Gespräch mit der Chiemgau-Zeitung, berichtete Irlacher von der ersten Begegnung der beiden bei einem Pfingstgottesdienst in der Streichenkirche. Die Köhlers hätten sich damals im gesamten bayerischen Alpenraum nach einem neuen Wohnsitz umgesehen. „Die Art der Menschen bei uns im Achental hat er auf Anhieb gemocht“, weiß Irlacher. Und so sei es gekommen, dass der frühere Bundespräsident 2012 den Bichlhof in Unterwössen kaufte.

„Lernen Sie weiter, packen Sie an, lassen Sie sich nicht irritieren. Sie sind auf dem richtigen Weg“, rief Köhler allen zu, die sich beim Ökomodell engagieren. Aus den Lektionen, die man hier in den vergangenen 20 Jahren gelernt hat, lasse sich viel für die weltweit nötige große Transformation ableiten: Zum Beispiel, dass Ausprobieren, Verwerfen, Scheitern und Weitermachen dazugehören. „Es liegen keine fertigen Rezepte in der Schublade. Es muss vor Ort herausgefunden werden, welcher Weg der stimmige ist.“ Auch könne das Beispiel aus dem Achental Mut machen für funktionierende Demokratie. „Erst, wenn die Menschen das Gefühl haben, sie sind Teil des Veränderungsprozesses, entsteht Nachhaltigkeit“, weiß Köhler. Auch darin, Grenzen zu überwinden, sei das Ökomodell durch die Kooperation mit Tirol Vorreiter und damit „ein gutes Stück Europa“.

Und schließlich sei es „keine Selbsthilfegruppe, wo man Klagelieder auf den Niedergang singt“, sondern geprägt von Hoffnung. „Man darf aber nicht nur still hoffen, sondern muss auch anpacken. Das Ökomodell zeigt, wie das geht“, so Köhler. Darin sehe er einen Weg, „unseren Wohlstand zu erhalten und zugleich auf andere Rücksicht zu nehmen“.

Einen Rückblick auf 20 Jahren Ökomodell hielt Moderatorin Claudia Siemers im anschließenden Gespräch mit den drei bisherigen Vorsitzenden in der Geschichte des Vereins: dem „Vater des Ökomodells“ Fritz Irlacher, seinem Nachfolger und heutigen Schlechinger Bürgermeister Josef Loferer, und dem amtierenden Bergener Bürgermeister Stefan Schneider. Gemeinsam erinnerten sie an umgesetzte Projekte (Landschaftspflege, Urlaub auf dem Bauernhof, die Wochenmärkte) und gescheiterte Projekte, zum Beispiel die Gewinnung von Wasserkraft an der Weißache. Vor allem aber bekräftigen alle drei, dass es „Leute braucht, die mitmachen“. Nur dank einer guten Mannschaft, der Einbeziehung der Bürger, Zusammenhalt und Respekt füreinander stehe das Ökomodell heute so erfolgreich da.

Dass es auf ein „Miteinander“ statt ein „Gegeneinander“ ankommt, stellte auch Landrat Siegfried Walch in den Fokus seines Grußwortes. Es stelle sich nicht die Frage „Wohlstand oder Naturschutz?“. Man müsse alles tun, um „das Gesicht der Heimat zu bewahren“. Und daran, dass das Ökomodell dies seit 20 Jahren so erfolgreich macht, dürfe jeder Bürger im Achental stolz sein. „Ihr seid alle Pioniere“, rief er den Gästen im Heftersaal zu. Er Weg habe sich bewährt und die Region zusammengeschweißt. „Es geht um unser Dahoam“, forderte Walch auf, in diesem Sinne weiterzumachen. Weil zu einem Geburtstag neben vielen Gästen und Glückwünschen auch Geschenke gehören, hatte die VR Bank Rosenheim-Chiemsee einen Scheck über 5000 Euro mitgebracht. Damit kann sich das Ökomodell den Wunsch erfüllen, die Ausbreitung des Kreuzkrautes kartieren zu lassen. kad

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