Bergen, Achental. (lfl, 22. März) Mit Nachdruck möchte jetzt das Ökomodell Achental die Planung von zwei Fließwasserkraftwerken an der Tiroler Ache vorantreiben. 9 darin zusammengeschlossene Gemeinden ziehen an einem Strang. Als optimaler Standort hat sich einmal bei Flusskilometer 20,65 die Stelle flussabwärts der Achenbrücke in Schleching-Ettenhausen ergeben. Bei Flusskilometer 5,1 in Almau gibt es die zweite optimale Stelle. Das belegt die Machbarkeitsstudie, die bei einer gemeinsamen Gemeinderatsitzung der neuen Achental Gemeinden erstmals öffentlich vorgestellt wurde. Für die Zukunft sind zwei weitere, gut geeignete Kraftwerksstandorte flussaufwärts der Achenbrücke zwischen Unterwössen und Schleching-Raiten und oberhalb der Achenbrücke zwischen Grassau und Staudach-Egerndach gefunden.
Es brauchte den großen Festsaal in Bergen, die Bürgermeister, Gemeinderäte und Fachleute, aber auch viele Zuschauer einer gemeinsamen Gemeinderatsitzung der neun Ökomodellgemeinden zu fassen. "Neun Gemeinden in einer gemeinsamen Gemeinderatsitzung! So etwas muss man in Bayern suchen! " zeigte sich der gastgebende Bergener Bürgermeister Bernd Gietl begeistert und ein wenig stolz. Einziges Thema dieser vom Ökomodellvorstand, dem Schlechinger Bürgermeister Josef Loferer, geleiteten Versammlung war das gemeinsame Energiekonzept der Gemeinden und die Vorstellung einer Machbarkeitsstudie zu Fließgewässerkraftwerken an der Tiroler Ache. Die Machbarkeitsstudie verantworten gemeinsam die Universität Innsbruck um Prof. Markus Aufleger, die SKI GmbH & Co, ein Münchner Ingenieurbüro für Wasserbau um Dipl.-Ing. Michael Spannring, und die Revital ZT GmbH, ein Unternehmen für Naturraumplanung aus dem österreichischen Nussdorf mit Dipl.-Ing. Stephan Senfter.
Für die Fließwasserkraftwerke an der Tiroler Ache sieht die Studie jedenfalls die technische Machbarkeit. Die Herausforderungen durch die bestehenden Rahmenbedingungen vor Ort können bewältigt werden, die vorgeschlagenen Standorte bieten eine optimale Lösung. So fasste Professor Markus Aufleger zusammen. In Flussabschnitten von jeweils 500 Meter Länge sind die örtlichen Gegebenheiten untersucht und das jeweilige Konfliktpotenzial ermittelt worden. Bewertet wurden die Rahmenbedingungen aus der Gewässerökologie mit Lebewesen und Pflanzen, die Gewässergestaltung, der Naturwert nach naturschutzrechtlichen Richtlinien und Vorschriften, der Erholungswert der Landschaft und die Siedlungsstruktur. Außerdem wurde Infrastruktur und Zugänglichkeit der Kraftwerksstandorte bewertet. Für danach denkbare Standorte sind dann das Wasserkraftpotenzial und das Kraftwerkskonzept untersucht worden.
Das Potenzial der Kraftwerke ist auf der Grundlage einer Fallhöhe von 3 m pro Kraftwerk mit 5 Gigawatt pro Stunde (GWh) pro Jahr zurückhaltend und unter Berücksichtigung der Naturschutzvorgaben berechnet worden. 5 GWh im Jahr entsprechen der Versorgung von etwa 1500 Haushalten. Solche Fließgewässerkraftwerke benötigen nur wenig Fallhöhe, erhalten die ursprünglichen Fließgeschwindigkeit des Gewässers und vertragen die wechselnden Wasserstände. Ein Teil der Gewässerbreite besteht aus einem im Umfang veränderbaren Schlauchwehr, das zum Beispiel bei Hochwasser völlig überflutet werden kann. Das staut das Gewässer auf. Im Kraftwerk in der verbliebenen Flussbreite durchfließt das Wasser fünf Kompaktturbinen vom Typ Stream Diver und erzeugt Strom. Ein schräg zur Fließrichtung vor das Kraftwerk gesetzter Rechen aus Drahtseilen hält Fische vom Kraftwerk fern. Es führt die in einen sogenannten Schlitzpass zwischen Kraftwerk und Schlauchwehr. Dieser Schlitzpass sichert mit einer Fischtreppe die Durchgängigkeit für Fische. Anrampungen innerhalb der Fischtreppe sorgen für die Durchgängigkeit auch für Kleinlebewesen. Diplomingenieur Michael Spannring berichtete über die Hydraulik des Gewässers. In Geländesimulationen am Computer sind die Gewässerveränderungen bei wechselnden Wasserständen durch ein Kraftwerk berechnet worden. Für Hochwasser ergeben sich keine erhöhten Wasserstände gegenüber dem heutigen Zustand, die sonstigen Veränderungen im Wasserspiegel halten sich in den heutigen Bereichen.
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Kraftwerke an den beiden bevorzugten Standorten erbringt Investitionskosten von rund 6 Millionen € bei jährlichen Unterhaltungskosten von 100.000 € pro Kraftwerk. Auf der Grundlage der derzeitigen Einspeisungsvergütung von rund 550.000 € amortisiert sich die Anlage bei einer Inflationsrate von 2,5 % in 30 Jahren. Die Wissenschaftler verwiesen darauf, dass dieses Kraftwerk nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringe. Dazu hatte Ökomodell Geschäftsführer Wolfgang Wimmer zu Beginn der Sitzung die Vorstellung des Ökomodell Achental im Rahmen des Energienutzungskonzepts des Achental dargelegt. Das Ökomodell und die angeschlossenen Gemeinden beabsichtigen den Anteil an erneuerbarer Stromenergie von derzeit 30.266 MWh auf 67.266 MWh im Jahr 2020 zu erhöhen. Das würde den CO²-Ausstoß erheblich zu verringern. Neben allen anderen hiesigen Entwicklungen tragen an diesem Konzept die möglichen vier Fließgewässerkraftwerke an der Tiroler Ache mit insgesamt 20.000 Megawattstunden (MWh) im Jahr erheblichen Anteil. Bei einem auch für 2020 prognostizierten Energieverbrauch von 100.927 MWh, bei Ausschöpfung des angesetzten Einsparungspotentials ca. 85.000 MWh, würde das dann einen Anteil an erneuerbaren Energien von mindestens zwei Dritteln bedeuten.
Für diesen Weg setzte sich Landrat Hermann Steinmasse in seiner Ansprache nachdrücklich ein. Steinmaßl meinte: "Ernährung, Wasser, Rohstoffe und Energie, das sind die Herausforderungen der Gegenwart. Die Energiewende ist eine komplexe Aufgabe, eine Herausforderung, der sich Deutschland und Bayern stellt, die aber gerade auch die Umsetzung auf allen Ebenen und Bereichen der Kommunen und Landkreise fordert." Wir wollen den Strombedarf für die Haushalte und das Gewerbe inklusive der öffentlichen Hand bis 2020 mit Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Landkreis decken, rief Steinmaßl auf. Und bis 2025 soll der Strombedarf der Industrie rechnerisch so abgedeckt werden, habe der Landkreis jetzt entschieden.
Wenn wir den gesamten Strombedarf für die neuen Gemeinde Ökomodell und den Landkreis Traunstein aus regionalen erneuerbaren Energien erzeugen wollen, brauchen wir Produktionsstandorte, forderte der Landrat. "Wir brauchen den Mut, neue Techniken einzusetzen, die Ehrlichkeit zu sagen, dass dies nicht ohne Veränderung im Landschaftsbild möglich ist, und die Erkenntnis, dass wir dafür auch vernünftige Kompromisse vor allem mit der Natur und dem Landschaftsbild eingehen müssen." Wasserkraft als grundlastfähige Energieform ist unverzichtbares Energiepotenzial für den Landkreis Traunstein, denkt der Landrat. "Wasserkraft, die an uns vorbei fließt, gilt es zu nutzen." Das Ökomodell Achental mit seinen neun angeschlossenen Gemeinden sieht Steinmaßl als vorbildliche Einrichtung und einen der wichtigsten Aktionspartner auf dem Weg zur Energiewende.
Der Umstand, dass jede Gemeinde jetzt erheblich Geld in die Hand genommen hat, die Hälfte der Machbarkeitsstudie zu finanzieren, und dass das Bayerische Wirtschaftsministerium - sehr angetan vom Vorhaben - die andere Hälfte übernommen hat, erweise, so Ökomodell-Geschäftsführer Wimmer, wie ernst es den Beteiligten mit dem Vorhaben ist. Auf Nachfrage konnte er aber keine Zeitvorgaben nennen. Jetzt komme es darauf an, die Planungen gemeinsam und Hand in Hand voranzutreiben. In der Diskussion erhoben sich zwei Bedenken aus den Reihen der Gemeinderäte. Nur die - nicht die Zuhörer - sind in Gemeinderatssitzungen redeberechtigt. Ein Ratsherr, nach eigenem Bekunden erfahrener Fischer, glaubt nicht, dass der Fischbestand der artenreichen Ache nach vier Kraftwerksneubauten zukünftig noch den gleichen Standard habe.
Landwirte unter den Gemeinderäten gerade aus dem Bereich Staudach-Egerndach und Almau machten sich Sorgen über steigende Grundwasserspiegel im Staubereich und damit nasse Felder und Wiesen. Dazu meinte Prof. Aufleger, dass die Wissenschaftler und Planer das sehr genau im Auge behielten. Jetzt habe man gerade die Machbarkeitsprüfung, das anschließende Planungsverfahren bringe weit genauere Untersuchungen und eventuelle korrigierende Maßnahmen, wusste auch Dipl.-Ing. Spannring. Unter anderem machen sich die Planer mit einem Grundwasserprofil ein konkretes Bild. Und schon jetzt seien verschiedene Maßnahmen denkbar, mit denen auf so etwas reagiert werden könne wie Spundwände im Staubereich und Entlastungsentwässerungen am Kraftwerk, meinte Spannring.
Den Anwurf eines Gemeinderates, mit diesen Bauwerken gäbe das Ökomodell eines seiner drei Ziele, die Landwirtschaft, auf, wies der Ökomodellvorsitzende Loferer scharf zurück. Es wäre keine Gemeinde hier durch ihre Räte vertreten, die nicht immer das Beste für Ihre Bürger vor Augen hätte. Keine wäre bereit, Maßnahmen zum Schaden der eigenen Gemeinde zuzulassen. Loferer rief zum Abschluss alle Bürger – auch abseits der Sitzungssäle – zu sachlicher Betrachtung und sorgfältiger Abwägung der Argumente auf. Er warnte, die Atmosphäre rund um die Herausforderungen und Chancen der Zukunft mit Stammtischparolen aufzuheizen.
Ludwig Flug