Innenentwicklung, ein Lebensgefühl

Erstellt von Dr. Rafael Stegen |

Akuteller Sachstand über das Innenentwicklungskonzept der integrierten ländlichen Entwicklung im Achental

Die Diskussion, weniger Fläche für die Siedlungsentwicklung in unseren Städten und Gemeinden in Anspruch zu nehmen besteht bereits seit längerem. In der Vergangenheit wurde diese Diskussion oft mit einem erhobenen Zeigefinger geführt, was von vielen Grundbesitzern und interessierten Häuslebauern als eher negativ empfunden wurde. Eigentlich würde jeder sagen „ja, na klar, das machen wir so“. Doch wenn es um den eigenen Besitz geht - sei es Auto, Haus, Grundstück oder das eigene Verhalten - dann wird die Aussage oft brüchig, das Problembewusstsein weich und das Handeln bleibt weitestgehend unverändert. Die Auseinandersetzung mit den Folgen unseres Handelns auch und insbesondere für zukünftige Generationen hat nicht zuletzt aufgrund der immer spürbareren Veränderungen unserer Lebensumwelt sowie der hierauf gründenden “fridays for future“ Bewegung wieder an Dynamik gewonnen.

 

Vielleicht ist der Zeitpunkt inzwischen reifer, das Thema des Flächensparens und der persönlichen Zurücknahme bei der Beanspruchung von Grund und Boden erneut zu diskutieren und einen verbindlichen, glaubwürdigen und zukunftsfähigen planerischen, politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Umgang damit zu entwickeln. Reifer deswegen, weil auch andere Gründe dazu beitragen, unsere Gemeinden nicht bedingungslos weiter in die Fläche zu entwickeln und die historischen Mitten und Gebäude ihrem Schicksal zu überlassen.

 

Weniger Familie, wenig Ideenreichtum bei den Wohnformen

Da ist zunächst der fortschreitende Verlust des so genannten Generationenmodells, bei dem die Generationen einer Familie untereinander für die familiäre Fürsorge verantwortlich sind. Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft hat u.a. dazu geführt, dass die Generationen nicht mehr am selben Ort und unter demselben Dach ihr Leben verbringen. Insbesondere in ländlichen Gemeinden beobachten wir daher eine Vereinsamung bzw. Überforderung älterer Menschen, die in einem großen Haus mit großem Garten zunehmend auf sich allein gestellt sind. Das Interesse an alternativen Wohnformen mit Gemeinschaftsflächen und individuellen Betreuungsmöglichkeiten in belebter Nachbarschaft wächst daher seit Jahren stark. Dies gilt aber nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für Jüngere. Die Diversifizierung des Wohnraumangebotes (Erweiterung durch viele verschiedene Wohnungsgrößen und Finanzierungsformen) als Reaktion auf die Individualisierung unserer Gesellschaft ist inzwischen auch in ländlichen Gemeinden ein wichtiges Zukunftsthema.

 

Wie und wo wollen die Einwohner einer Gemeinde zukünftig wohnen? Bei der Beantwortung dieser Frage gewinnt eine funktionale Vielfalt gegenüber monofunktionalen Strukturen eine neue Bedeutung. Man könnte auch sagen, wir entdecken die kurzen Wege und belebten Ortsmitten wieder. In einem Motto der Bundesstiftung Baukultur heißt es: „Wir möchten Lust machen auf bessere Orte mit weniger Fläche.“ Kompaktheit hat eben neben städtebaulichen Vorteilen auch einen hohen sozialen Mehrwert. Innenentwicklung, ein Lebensgefühl!

 

Aber was tun, wenn für die Wiederentdeckung keine Flächen vorhanden sind? Wohnraum, vor allem bezahlbarer Wohnraum, wird dringend benötigt, gerne auch in der Ortsmitte. Die Antwort auf die Frage heißt: „Genau hinschauen!“ In unseren Städten und Gemeinden liegen zahlreiche innerörtliche Grundstücke brach, und Flächen sowie Gebäude sind untergenutzt. Dies bezieht sich im Übrigen auch auf die vielen allein wohnenden älteren Menschen in viel zu großen Behausungen. Die Gründe dafür sind vielfältig und sehr oft höchst persönlich. Das bedeutet aber nicht, dass die den Flächen und Gebäuden zugehörigen Grund- und Immobilieneigentümer immer zufrieden sind mit dieser Situation. Immer wieder mangelt es an Wissen, Ideen, Entwicklungsmöglichkeiten und Beratung, oder anders ausgedrückt, an dem kleinen „Tritt“ doch etwas mit dieser Situation zu tun.

 

Ökomodell will mit zu den Vorreitern gehören

Seit vielen Jahren schreiben sich die neun Gemeinden des Ökomodells Achental auf die Fahnen, nachhaltig zu handeln und neue Wege einer ökologisch tragfähigen Zukunftsentwicklung zu verfolgen. In einem gemeinsamen Projekt aus der integrierten ländlichen Entwicklung, gefördert über das Amt für ländliche Entwicklung, haben sich die Gemeinden nun auf den Weg gemacht, die un- und untergenutzten Flächen und Gebäude in ihren Gemeinden zu identifizieren und Wege zu diskutieren, wie diese Potenziale einer für die Ortsentwicklung sinnvollen und den Ökomodellgemeinden dienlichen Nutzung zugeführt werden können. Dabei stehen die Gemeinden an ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten auf diesem Weg. Während sich einige Kommunen bereits seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema der Innenentwicklung auseinandersetzen und Grundlagen wie ein Flächenkataster (Schleching) oder einen politischen Grundsatzbeschluss (Unterwössen) erarbeitet haben, stehen andere Gemeinden erst am Anfang des Weges zur Minderung der Flächen(neu)inanspruchnahme. Gemeinden, die bereits diesen Weg gegangen sind wie bspw. die Hofheimer Allianz oder die niederbayerische Stadt Freyung konnten aufzeigen, dass in fast allen Ortsteilen Entwicklungspotenziale bestehen. „Das wird auch bei den Ökomodell Gemeinden der Fall sein“, bestätigt Landschaftsarchitekt Günter Schalk, der derzeit mit weiteren Kollegen anhand von Ortsbegehungen, Luftbildauswertungen, Kataster, Bebauungs- und Flächennutzungsplänen der neun Gemeinden eine so genannte Flächenmanagement-Datenbank mit den Innenentwicklungspotenzialen aufstellt und damit eine vergleichbare Ausgangsdatenbasis für Alle schafft. Auf dieser Grundlage werden dann die politischen Entscheidungsträger der Gemeinden Wege der Aktivierung und Umsetzung diskutieren.

 

Was zählt zum so genannten Innenentwicklungspotenzial?

  • Flächen, die im Umgriff eines rechtskräftigen Bebauungsplanes liegen und mit einem Baurecht versehen sind, welches bislang nicht ausgenutzt wurde (§ 30 BauGB)
  • Flächen innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, bei denen eine Erschließung gesichert ist und deren Baurecht nicht ausgeschöpft ist (§ 34 BauGB)
  • Un- und untergenutzte Gebäude im Umgriff rechtskräftiger Bebauungspläne (§ 30 BauGB)
  • Un- und untergenutzte Gebäude innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile mit einer gesicherten Erschließung (§ 34 BauGB)
  • potenzielle zukünftige Leerstände

 

Die so identifizierten un- und untergenutzten Flächen und Gebäude mit einem potenziellen Baurecht im Innenbereich der Gemeinden sollen zukünftig genutzt werden („Aktivierung“), um Bebauungen im Außenbereich (auf der „grüne Wiese“) zu reduzieren und somit den Flächenverbrauch zu senken. „Eine sinnvolle und qualitätsvolle Innenentwicklung ist ein großer Hebel, sparsamer und damit auch verantwortungsbewusster mit Grund und Boden umzugehen“, weiß Wolfgang Wimmer, Geschäftsführer des Ökomodells Achental. Die vorhandene Infrastruktur zu nutzen und auszulasten, indem konsequent Baulücken aktiviert werden, ist langfristig günstiger und umweltschonender, als sie auszubauen.

 

Die Gemeinden des Ökomodells kommen so zudem dem seit Anfang des Jahres 2020 geltenden Anforderungen der Bayerischen Staatsregierung nach. In einer Auslegungshilfe für die prüfenden Landesplanungsbehörden heißt es, dass vor der Inanspruchnahme neuer Flächen für Siedlungszwecke im bauplanungsrechtlichen Außenbereich (zumeist Ortsränder) der Nachweis durch jede Kommune zu führen ist, dass

  1. hinreichender Bedarf in Abwägung mit anderen Belangen die Neuinanspruchnahme rechtfertigt und
  2. zunächst sämtliche Potenziale der Innenentwicklung genutzt wurden.

 

Die Innenentwicklung kommt schließlich Allen zu Gute; weniger Infrastrukturkosten, bessere Infrastrukturauslastung, weniger Verkehr, belebtere Nachbarschaften und kürzere Wege bspw. zu den Versorgungseinrichtungen.

Der Weg lohnt sich also, zumal die Gemeinden bei einem „weiter so“ viel zu verlieren haben.

„Heimat“ schreibt Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, Heimat, „das war der Stadt- oder Dorfplatz, an dem heute Leerstand herrscht. Das war die grüne Wiese, die heute sprichwörtlich für adresslose Fachmarktzentren steht. Das war regionaltypische Architektur, die austauschbaren Einfamilienhäusern gewichen ist.“ (Bundesstiftung Baukultur 2019, S. 6)

 

Zum Glück ist die Situation in den meisten Gemeinden des Ökomodells noch nicht so gravierend wie in dem Zitat beschrieben, auch wenn gewisse Tendenzen zu erkennen sind. Innenentwicklung und Aktivierung von Flächenpotenzialen im Bestand haben neben einer verminderten Inanspruchnahme von neuen Flächen eben auch den Effekt, das Leben in den Ortsmitten und in gewachsenen Siedlungen zu stärken und Tradition und Baukultur zu erhalten. Innenentwicklung, ein Lebensgefühl!

Text: Dr. Rafael Stegen, Dipl. Geograph und Stadtplaner

Graphik aus: Besser bauen in der Mitte: Der Donut Effekt

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