Kernthema Innenentwicklung

Erstellt von Ökomodell Achental |

Sommerinterview zu den Ergebnissen des Innenentwicklungskonzeptes der neun Mitgliedsgemeinden des Ökomodell Achental e.V.

Seit Herbst 2019 haben sich die Planungsbüros michellerundschalk landschaftsarchitektur und urbanismus sowie Salm & Stegen Geographen und Stadtplaner aus München mit der Erhebung und Bewertung sogenannter Innenentwicklungspotenziale in den neun Mitgliedsgemeinden des Ökomodell Achental e.V. beschäftigt. Die identifizierten un- und untergenutzten Flächen und Gebäude mit einem potenziellen Baurecht im Innenbereich der Gemeinden sollen zukünftig genutzt werden („Aktivierung“), um Bebauungen im Außenbereich (auf der „grüne Wiese“) zu reduzieren und somit den Flächenverbrauch zu senken. Die Ergebnisse der Erhebungen, der bislang geführten Diskussionen sowie die bauplanungsrechtlichen und landesplanerischen Rahmenbedingungen werden aktuell sukzessive in den einzelnen Gremien der Mitgliedsgemeinden vorgestellt. Wir haben die Sommerpause genutzt, ein Interview mit Herrn Dr. Stegen vom Büro Salm & Stegen und Herrn Schalk vom Büro michellerundschalk zu führen.

Herr Stegen, Sie haben jetzt in eineinhalb Jahren in den neun Mitgliedsgemeinden des Ökomodell Achental e.V. Flächen erhoben, für die aktuell ein Baurecht besteht, die aber bislang unbebaut bzw. untergenutzt sind. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Nun, wir können insgesamt bilanzieren, dass in allen neun Gemeinden zusammen aktuell ausreichend Flächen mit einem Baurecht versehen sind, um theoretisch die bestehenden und in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu erwartenden Nachfragen zu befriedigen. Das Problem besteht vielmehr darin, dass viele dieser Flächen aufgrund des Privatbesitzes nicht zur Verfügung stehen, nicht geeignet sind, den lokalen Nachfragen nicht genügen, bzw. wir oft nichts über die Vorstellungen der Eigentümer über den Umgang mit ihrer Fläche wissen.

Was meinen Sie genau damit?

Es gibt Orte wie bspw. Reit im Winkl, wo eine starke Nachfrage nach bezahlbarem und zum Teil auch eher kleinerem Wohnraum vorhanden ist. Um jedoch einen kompakteren Geschosswohnungsbau umsetzen zu können, benötigt man ein Mindestmaß an Fläche und Erschließung. Dies ist in Reit im Winkl u.a. auch aufgrund der Topographie und der Hochwassergefahren nur sehr eingeschränkt vorhanden.

Können Sie noch ein weiteres Beispiel nennen?

In Bergen und Grabenstätt bestehen Nachfragen von Einheimischen nach einem Baugrund, der jedoch aufgrund der Bodenpreisentwicklung auch in diesen Gemeinden für Einheimische kaum noch erschwinglich ist. Die eigentlich aktuell mit einem Baurecht versehenen freien Grundstücke stehen aufgrund des überwiegenden Privatbesitzes dem ohnehin bereits überhitzten Markt oft nicht zur Verfügung, sodass sich das Gut Baugrund nochmals verknappt.

Die Bilanz, dass eigentlich genug vorhanden wäre, geht also faktisch nicht auf. Woran liegt das?

Wie bereits zuvor erwähnt, befinden sich viele Flächen in Privatbesitz und dort herrscht die Auffassung, dass das Grundbuch eben mehr Wert sei als das Sparbuch. Diese so genannten “Enkelgrundstücke” sollen im Familienbesitz verbleiben, in der Hoffnung, dass doch noch ein Enkel das vor vielen Jahren (mit-) erworbene Grundstück bebauen wird. So werden schließlich freie Grundstücke von einem Namen auf den anderen Namen im Grundbuch übertragen, ohne dass je eine bauliche Entwicklung stattfindet.

Welche Möglichkeiten haben die Gemeinden des Ökomodells mit dieser Situation umzugehen?

Zunächst empfehlen wir den Gemeinden ganz offen mit dieser Thematik umzugehen und sie öffentlich anzusprechen. Es besteht nämlich häufig die Erwartungshaltung, dass die Gemeinde einfach neues Bauland für die Einheimischen ausweisen soll. Dies können sie aber aufgrund mangelnden Flächenbesitzes und bauplanungsrechtlicher wie auch zunehmend landesplanerischer Beschränkungen nur noch sehr eingeschränkt tun. Außerdem geht es ja genau darum, nicht genauso weiter zu machen wie in der Vergangenheit. Das müssen wir alle lernen, dass der Traum vom Haus im Grünen nicht beliebig multiplizierbar ist. Fläche ist wertvoll und vor allem auch endlich – so bitter das für den ein oder anderen sein mag.

Sie raten den Gemeinden also zur Sensibilisierung ihrer Bevölkerung?

Genau! Dazu gehört aber noch mehr als ein paar Artikel in der Zeitung und ein paar Sonntagsreden am Stammtisch. Wir empfehlen den Gemeinden aktiv auf die Grundbesitzer zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dazu gehören für uns im Übrigen auch die Bauherren der 1970er und 1980er Jahre. Hier können wir in vielen Häusern feststellen, dass die Zufriedenheit mit der eigenen Behausung und dem inzwischen viel zu großen Garten sinkt. Wenn die Kinder ausgezogen sind und man nur noch alleine oder zu zweit in dem ehemaligen Familiendomizil lebt, dann macht das viel Arbeit und stellt den ein oder anderen vor große Herausforderung – auch was den Punkt der Vereinsamung anbelangt. Im Grunde haben wir mit diesem gebauten Bestand noch den lebenden Traum des Einfamilienhauses, der für die ursprünglichen Besitzer oftmals aber nicht mehr dem eigenen Lebensabschnitt und
-entwurf entspricht. Es ist halt schon ein gebautes Haus, welches von einer neuen Generation junger Familien ggf. nachgenutzt werden will, aber häufig eben nicht der eigenen Familie.

Sie wollen also Hausbesitzer aus ihren Häusern vertreiben, um jungen Familien das Haus mit Garten zu ermöglichen?

Nein -  absolut nicht! Das ist mir ganz wichtig, dass es nicht um Vertreibung oder Enteignung geht, sondern um eine ausgestreckte Hand mit einem Hilfsangebot für diejenigen, die für sich selbst feststellen, meine Situation ist unbefriedigend für mich. Alle, die sich mit Ihrer Situation wohl fühlen, sollen dies auch weiterhin. Wir können in unseren Projekten feststellen, dass überall dort, wo dieses Tabuthema behutsam, offen und ehrlich angesprochen und Wohnalternativen angeboten werden können, eine wachsende Bereitschaft – um nicht Begeisterung zu sagen - zur Veränderung festzustellen ist.

Herr Schalk, nun haben wir schon gehört, dass Fläche wertvoll und endlich und der Traum vom neu gebauten Einfamilienhaus nicht beliebig multiplizierbar ist. Sie sind Landschaftsarchitekt und haben vor allem auch die Qualitäten des Freiraums – also der noch freien Flächen – in dem Projekt mit bewertet. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Das Achental als Landschaftsraum lebt von seiner hohen landschaftlichen und naturräumlichen Qualität. Die Orte des Achentals leben zudem von ihrer dörflichen Maßstäblichkeit und der zumindest teilweise noch erkennbaren Idylle ihrer historischen Entwicklung. Mit Blick auf die Zersiedelung gewachsener Dorfstrukturen und den enormen Flächen- & Ressourcenverbrauch vieler reiner Einfamilienhaussiedlungen gehen diese Strukturen zunehmend verloren. Ein echtes dorfgemeinschaftliches Zusammenleben, wie es die historischen Strukturen unterstützt haben, ist aufgrund der offensichtlichen Schwächen vieler reiner Einfamilienhausgebiete mit ihren ausgedehnten und weitestgehend privatisierten Flächenaufteilungen nur noch sehr eingeschränkt möglich. Unser Bild von Dorf und die Idee des Landlebens hängen nicht nur für uns ganz eng mit dem Vorhandensein von ausreichend umgebender (Kultur-) Landschaft (also Wiesen, Wälder und Feldern!) als Ausdruck von menschlichem Handeln und naturräumlichen Gegebenheiten zusammen.

Hierbei hat natürlich gerade das Achental und seine Umgebung ganz besondere Wertigkeit und Attraktivität, was ja nicht zuletzt die große Anzahl an Besuchern und Urlaubern aus anderen Regionen zeigt.

Ist das ein Plädoyer für den Erhalt der Kulturlandschaft und eine Rückbesinnung auf dörfliche Qualitäten?

Im Grunde ja. Wir sehen Lösungsansätze genau darin, sich immer auch auf die Vergangenheit zu besinnen. Dörfer waren in ihren Ortskernen immer hoch verdichtet, funktionsgemischt und eng bebaut. Die zum Teil vergessenen oder zumindest verlorengegangenen Erkenntnisse und Traditionen im ländlichen Bauen und dörflichen Leben sollten wiedererkannt und -den heutigen Anforderungen angepasst- reaktiviert werden. Den Ortsmitten und dem gebauten Siedlungsbestand mit den vielen erhobenen Innenentwicklungspotenzialen müssen endlich wieder zukunftsfähige, soziale und dorfkulturelle Bausteine eingehaucht werden, die – je zentraler desto besser – den historisch-gewachsenen Dorfmitten wieder Funktion und Gesicht geben. Gerade aus dem Grundprinzip der Nutzungsmischung und Strukturvielfalt entstanden nämlich seit jeher sehr variable und robuste
(Dorf-) Strukturen, die – wo sinnvoll und notwendig – auch nie die Großform (z.B. die des großen Stadels) gescheut haben.

Dann sind die noch vorhandenen Innenentwicklungspotenziale also kein Problem, sondern eine Chance?

Wir denken, dass mit den Flächen und intelligenten Lösungen sowohl für Grundeigentümer als auch für öffentliche Interessen und Ziele, die eine Gemeinde verfolgt, sehr gute und zufriedenstellende Lösungen gefunden werden können. Auch hier ist sicherlich wieder die bereits erwähnte offene und ehrliche Kommunikation von ganz zentraler Bedeutung, um möglichst viele Interessen im Sinne des Einzelnen und des Gemeinwohls zu integrieren. Ganz wichtig erscheint uns aber hierbei der Punkt, diese Dinge mit Blick auf den nach wie vor viel zu großen Flächenverbrauch im ländlichen Raum jetzt wirklich anzugehen und nicht wieder und wieder die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Wie können solche Lösungen aussehen?

Eine zukunftsfähige Entwicklung dörflicher Strukturen verlangt neben der Orientierung an traditionellen Werten und Stärken ganz klar auch den Blick nach vorne; es braucht zeitgemäße Wohn- und Lebensformen in der Dorfentwicklung sowie eine zunehmende Offenheit und Durchlässigkeit im Dorfleben. Hervorzuheben ist hier wie bereits erwähnt ganz klar die stetig wachsende soziale und ökologische Notwendigkeit eines wirklich sparsamen und nachhaltigen Umgangs mit Boden und Ressourcen. Wir müssen uns von den – bitte entschuldigen Sie mir dieses Bild – reinen Bausparkassen-Einfamilienhäusern im Pseudo-Alpen- oder Toskana-Stil verabschieden.

Wohnraum und Dienstleistungsinfrastruktur gehören der zielgruppenspezifischen Nachfrage einer demographisch und sozial diversifizierten Gesellschaft angepasst. Und die Nachfrage ist bei den heutigen Lebensentwürfen, der demographischen Veränderung und den gesellschaftlichen Anpassungen sehr heterogen. Die freien Flächen im Siedlungsbestand können gerade auch über ihre Verteilung im Ortsgebiet hierzu ihren Beitrag leisten.

Schauen wir nach vorne. Herr Dr. Stegen, wie wird es nun für die neun Mitgliedsgemeinden des Ökomodell Achental e.V. in diesem Projekt weitergehen?

Zunächst werden die Ergebnisse den Gremien vorgestellt, die von sich aus eine Vorstellung wünschen. Individuell wird dabei abgestimmt, ob die Vorstellung und Diskussion im Rahmen einer öffentlichen Gemeinderatssitzung, einer nicht öffentlichen Sondersitzung oder sogar im Rahmen einer Klausurtagung erfolgt. Dann obliegt es den Gemeinden proaktiv den Prozess weiter zu verfolgen und bspw. auf die Grundeigentümer von Innenentwicklungspotenzialen per Fragebogen oder persönlichem Gespräch zuzugehen. Auch bauplanungsrechtlich gibt es einen großen Instrumentenkasten, den die Gemeinden ebenfalls proaktiv auf die erhobenen Innenentwicklungspotenziale anwenden können. Das ist aber im Einzelfall abzuwägen und obliegt natürlich jeder Kommune im Rahmen der kommunalen Planungshoheit selbst.

Wir werden die Entwicklungen in den Gemeinden weiterverfolgen und bedanken uns sehr herzlich für das Gespräch. 

Anmerkung: Das Interview wurde im Rahmen des Innenentwicklungskonzept "Innen statt Außen" erstellt. 

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